Wie schön, welch Jammer
Das Einzige was in Tibet die Höhe der Berge, die Hochkultur an Religion und das Lächeln der Menschen (der Tibeter) übertrifft, ist eine konstante Hoffnungslosigkeit.
Diese Hoffnungslosigkeit liegt mittlerweile seit Jahrzehnten wie zäher Morgennebel über dem Land, denn bis heute gibt es keine internationale Organisation oder einen Staat, der oder die sich auf diplomatischer oder politischer Ebene aktiv für eine Veränderung einsetzt. Je nachdem wo du in Tibet reist ist der chinesische Einfluss und dessen alles verändernde Präsenz mehr oder weniger spürbar, aber definitiv omnipräsent.
Nach 2002 war dies meine zweite Reise nach Tibet. Geprägt durch die vielen Erfahrungen, waren wir (eine Fünfergruppe Höhenbergsteiger) dieses Mal einfach frecher. Nach ein paar Erholungstagen und Erledigungen in Kathmandu reisten wir in den Westen des Landes nach Simikot, wo uns schon gute Freunde, Sherpas und Sherpanis, erwarteten. Es war der Beginn der letzten Märzwoche als wir unser gesamtes Material endlich auf den Eseln verzurrt hatten und nach Hilsa aufbrachen. Ein gemütlicher Anstieg und Zweitagesmarsch ist das. Nicht jedoch zu dieser Jahreszeit, denn unseren frühen Aufbruch hatten wir sehr wohl und genau zu diesem Zeitpunkt geplant. Der Grund für den frühen Aufbruch war, dass wir zwar ein Visum für Tibet hatten, aber keine Berechtigung zur Besteigung für die Gurla Mandata (7728 m) in Tibet.
Aber wenn man im April in dieser Gegend unterwegs ist, sind die Straßen, welche von Lhasa Richtung Kailash führen, noch alle im Schnee versunken. Und das bedeutet, dass man sich frei bewegen kann, da es zu keinen chinesischen Kontrollen kommen kann. Also nichts wir über die Pässe und rein nach Tibet.
Umsatteln…
In Hilsa luden wir unser Expeditionsmaterial auf die gutmütigen und treuen Yaks um, auch ein weibliches Tier (Bri) hatten wir zwecks Frischmilch dabei. Mit den Tieren und Sherpas kamen wir gut voran und es hatte weniger Schnee als erwartet.
Das kleine, an der nepalesisch tibetischen Grenze liegende Dorf Hilsa hatten wir bald erreicht. Von dort hatten wir unseren Verbindungsmann über die Brücke gesendet, um mit den chinesischen Grenzbehörden, am Ende der Welt, zu kommunizieren. Die wiederum waren sofort völlig aufgebracht, dass wir schon so bald und laut unserem Visum viel zu früh ins Land einreisen wollten.
Zwei ganze Tage dauerte es bis sie klein beigaben und uns, immer noch kopfschüttelnd, endlich über die Brücke nach Tibet ließen. Natürlich wurde das gesamte Expeditionsmaterial bis ins kleinste Detail untersucht, damit sich ja keine original tibetische Flagge oder gar ein Bild vom Dalai Lama in unserem Gepäck befand. Aufgrund des ungewöhnlich wenigen Schnees zu dieser Jahreszeit gelang es uns auch Kontakt zu unseren Fahrern in Tibet herzustellen, welche uns bei den beeindruckenden Seen Manasarover & Rakshastal abholen sollten.
Endlich hat mal was geklappt und so erwarteten uns, nach einer knappen Woche Fußmarsch von Hilsa, die beiden Wagen in Tibet – ein Allradfahrzeug und ein großer Lastwagen, welcher nicht nur unser Expeditionsgepäck, sondern zusätzlich auch noch mit ein paar Fässern Benzin und Lebensmitteln beladen war. Ein wirklich gutes Gemisch !
Die Nächte Anfangs April waren oft so frisch, dass wir am nächsten Morgen direkt unter den Motorhauben der Wagen ein offenes Feuer mit getrocknetem Yak Dung machen mussten. Rauchig, stinkig schräg, aber wirksam.
Die Kora, die Umrundung um den Kailash, war für uns etwas ganz Besonderes und drei Tage lang gingen wir in Ehrfurcht und absolutem Staunen um den heiligsten Berg der Buddhisten. Video der Kailash Umrundung
Nur am ersten Tag der Kora sind wir tibetischen Pilgern begegnet, welche den Berg Schritt für Schritt und auf traditionelle Art (Niederwerfung + Gebet + eineinhalb Schritte und wieder Niederwerfung + und so weiter) umrunden. Aufgrund der Schneemenge hatten sie aber dann doch ein Camp errichtet, um abzuwarten. Währenddessen sind wir weitergezogen und hatten den Kailash ganz für uns – welch unbeschreibliches Glück.
Als Thron der Götter wird der 6714 m hohe Mount Kailash in Tibet genannt und wird von der alttibetischen Bön Religion, der altindischen Jain Religion sowie von Hindus & Buddhisten verehrt. Für die 53 km Umrundung (Kora) solltet ihr drei Tage rechnen und der höchste Punkt, der Dölma La auf 5660 m, hat’s in sich.
Jetzt wo wir gut an die Höhe angepasst waren, fuhren wir zum Fuße des Berges Naimona’nyi oder auch als Gurla Mandata bekannt. Mit seinen 7728 m und der Nähe zum Kailash hat er Toni und mich schon lange in den Bann gezogen. Wir hatten keine Genehmigung für den Berg und da auf den meisten Verbindungswegen bzw. Straßen noch zu viel Schnee lag, um chinesische Spähtruppen zu entsenden, riskierten wir die Erkundung mit der Absicht, der Besteigung des Berges. Die Besteigungsgeschichte der Gurla Mandata ist untrennbar mit Herbert Tichy verbunden, der damals aufgrund mangelnder bzw. unzulänglicher Ausrüstung in einer Höhe von ca. 7200 m aufgeben musste.
Lange Rede kurzer Sinn… uns ging es ebenso. Wir hatten zwar eine super Ausrüstung, jedoch waren die wenig wirklich schwierigen Passagen, die Steilstufen, zu dieser Jahreszeit noch völlig vereist. Unglaublich auch, dass es schon 1905 einen ersten Versuch durch T. G. Longstaff gab, aber erst 1985 gelang es einer chinesisch-japanischen Seilschaft den Gipfel zu erreichen.
Auch 2006 gab es noch wenige brauchbare Informationen über die Besteigung der Gurla Mandate und so versuchten wir uns nach eigenem Ermessen an der Westflanke. Die unaufhörlichen Stürme, die vereisten Steilstufen und das kleine Team, Toni & ich, waren diesen Herausforderungen nicht gewachsen und so teilen wir in 7200 m und in Gedanken an Herbert Tichy diese wunderbare Erfahrung.
Nachdem jetzt der Traum (ein wenig) zerplatzt war, konnten wir in aller Ruhe unsere Weiterreise nach Lahsa antreten. Am Boden hockend, neben Benzin, Expeditionsausrüstung und Lebensmitteln, schüttelte uns der Lastwagen über mehrere Tage auf den Straßen Richtung Lahsa so richtig durch.
Welcome to Disneyland…. – Lhasa
Schon 2002, bei meiner ersten Tibetreise, war Lahsa von chinesischen ‚Aufsichtspersonen’ geführt, bewacht und übernommen worden. Die Stadt hatte ihre Wurzeln im wahrsten Sinne des Wortes (wenn man sich den zu tode betonierten Platz vor dem Potala Palast ansieht) begraben. Der buddhistische Glaube wird seit langem unterdrückt und mittlerweile, weil es geschäftlich einbringend ist, kontrolliert erlaubt.
Namtso Lake (4718 m)
Die Weite und Stille um den Namtso Lake ist bewegend und von unglaublicher Schönheit. Zudem kann man hier auf den Guring La Pass (5890 m) sehen – den letzten Pass den Heinrich Harrer & Peter Aufschnaiter nach über 2000 km Fußmarsch durch Tibet überquerten und somit am 15 Jänner 1946 die ‚verbotene Stadt’ Lhasa erreichten.
Frechheit siegt… (nicht immer) aber manchmal hat man eben Glück und so sind wir damals auch ohne einer Erlaubnis zur Besteigung des Nyenchen Tanglha (7162 m) aufgebrochen. Beim Aufstieg wurden wir zwar von einem chinesischen Bergführer bezüglich des Permits gefragt. Da wir uns aber gerade in einer nicht ungefährlichen Passage befanden konnten wir ihn überzeugen, das Vorzeigen jenes (nicht vorhanden) Dokumentes auf die Rückkehr (in zwei Tagen) im Basislager zu verschieben. Letztendlich ist der Bergführer & Kontrolleur mit seiner gesamten Mannschaft aber dann doch schon vor unserer Rückkehr abgereist.
Tibet, März-April 2006