Nach einjähriger Planung sitzen wir, ein bunter Haufen Freunde aus Bergsteigerkreisen, am Wiener Flughafen und haben natürlich nichts anders im Kopf als ständig über unsere Reise und die Expedition zum Dhaulagiri VII, dem Putha Hiunchuli 7246 m in Dolpo/Westnepal, zu quatschen.
Es ist leicht zu schreiben, dass es sich dabei um einen ‚technisch leichten 7000er’ in der Dhaulagiri-Kette handelt und da es meine erste Expedition ist, kann ich nur theoretisch mit dieser Information was anfangen. Natürlich fühle ich mich auch gleich bei den Worten, technisch leichter 7000er, in meinem Stolz angegriffen, als ob ein 7000er leicht wäre, pah…
Der Putha Hiunchuli ist mit 7246 m Höhe der westlichste Siebentausender der Dhaulagiri- Kette und wird deshalb auch Dhaulagiri VII genannt. Der in der Region Dolpo versteckt liegende Siebentausender wurde 1954 vom legendären britischen Abenteurer Jim Roberts, zusammen mit dem Sherpa Ang Nyima, über die Nordwestseite erstbestiegen. Der Putha Hiunchuli ist (wie erwähnt) einer der technisch leichtesten 7000er im Himalaya. Anstieg über die NW Flanke wobei es über gleichmäßige Gletscherhänge mit maximal 35° Neigung geht.
Wegen der isolierten Lage und komplizierten Zugangsrouten wurde der Berg in früheren Jahren relativ selten bestiegen. Das attraktive und akklimatisationsfördernde Anmarschtrekking in Dolpo ist neben der Gipfelbesteigung ein zweites Highlight unserer Expedition. Dolpo in Westnepal ist das höchstgelegene dauerbewohnte Gebiet des Landes und zählt zu einer der ursprünglichsten Regionen im Himalaya. Im früheren tibetischen Fürstentum bekennen sich die „Dolpo Pa“ heute noch zur Bön-Religion, dem Vorläufer des Buddhismus.
Leicht (be)trunken vor Vorfreude erreichten wir am 30 September 2002 den Internationalen Flughafen in Kathmandu wo wir auch die ersten beide Tage zum Ausruhen und -für weitere organisatorische Angelegenheiten nützen.
Expeditionsbriefing bzw. Sightseeing in Kathmandu… das Treffen im Ministry of Tourism war nach dem Vorlegen von Genehmigungen überraschend schnell erledigt und so freuten wir uns auf die Besichtigungstour in Kathmandu um einige der kulturellen Highlights zu sehen. Mit noch mehr Spannung erwarteten wir aber das lang ersehnte Treffen im Office von HIMALAYEN TRUST eine non profit Organisation welche von Sir Edmund und Louise Hillary in den 60 er Jahren ins Leben gerufen wurde. Groß war das Staunen und noch größer der Respekt nachdem wir bei Tee und umgeben von alten schwarz/weiß Aufnahmen über das Leben, die Abenteuer und Geschichten von Sir Edmund Hillary erzählt bekamen. Benommen und im eigenen Himalaya Fieber sprachen wir noch den ganzen Abend über diese Begegnung.
Expeditionsablauf… Es ist der vierte Tag unserer Reise und wir befinden uns auf einem Regionalflug von Kathmandu nach Nepalgunj welches in SW-Nepal mit grandiosem Himalaya-Panorama liegt und Blicke auf Manaslu, Annapurna, Dhaulagiri usw. Nepalgunj freigibt. Gleich am nächsten Morgen geht es mit einem Kleinflugzeug von Nepalgunj nach Juphal weiter und dort gibt es dann auch das Zusammentreffen mit dem Begleitteam und den Trägern.
Eine kurze Trekkingetappe führt hinunter zum Barbung Khola und über Rupagad nach Dunai 2150 m Distrikthauptort der Region Dolpo. Gehzeit ca. 3 Stunden. Entlang des Barbung Khola Flusses geht’s nach Tarakot 2500 m wo wir oberhalb der alten Festungsanlage des Dorfes unser Camp aufgeschlagen.
Am achten Tag erreichen wir Kagkot 3200 m wobei der Weg zunächst den Barbung Chu entlang führt. Da der Zugang und die Trägerdienste in Richtung Putha Hiunchuli ausschließlich den Dolpo Pa aus Kagkot vorbehalten sind, muss ein Tag zum Umverteilen der 25 kg-Lasten auf Träger aus dem Ort eingelegt werden, der zugleich als Rast- und Akklimatisationstag dient.
Die Trekkingetappe am zehnten Tag begann mit der Flussüberquerung und hier verlassen wir auch das Tal des Barbung Chu Richtung Süden und queren einen langen Hang bis es steiler wird und wir den Hochalm Pangzi Pass in 4400 m Höhe erreichen. Jetzt sind wir knapp vierzehn Tage unterwegs und auch heute haben wir noch eine Etappe über einen 4600 m hohen Pass vor uns, welche uns aber, mit der Aussicht das Basislager zu erreichen, nicht allzu schwer viel. Das Basislager liegt auf gut 4900 m und eröffnet einen Blicke auf den Churen Himal 7371 m und liegt auch nahe am Fuß des Putha Hiunchuli.
Für die Gipfelbesteigung des Putha Hiunchuli haben wir bis zu zehn Tage geplant und insgesamt stehen uns knapp 12 Tage für die Besteigung des Dhaulagiri VII ab/bis Basislager zur Verfügung. Je nach Wetterbedingungen und Verhältnissen am Berg sollte dieses Zeitfenster für die Höhenakklimatisation und den Aufbau von zwei Hochlagern in 6300 und 6700 m Höhe sowie für eine erfolgreiche Gipfelbesteigung ausreichen.
Die alpinistischen Schwierigkeiten der durchschnittlich etwa 25 bis 30° steilen Schneeflanken sind, abgesehen von Gletscherspalten und der einen oder anderen steileren Passage, nicht besonders hoch, sodass die ausgezeichneten Gipfelchancen in erster Linie von unserer eigenen konditionellen und gesundheitlichen Verfassung abhängig waren.
Wie es wirklich ist… schon ab dem Basislager waren wir in Kleingruppen unterwegs welche aus Zweier- oder Dreierteams bestanden. Ich war dabei mit Christian unterwegs und wir kannten und verstanden uns gut. Oft waren wir stundenlang wortlos am Berg unterwegs, setzten Schritt für Schritt, jeder in seinem eigenen Tempo, in seinem eigenen mentalen Dialog. Jetzt befinden wir uns im letzten Hochlager auf 6700 m und es sind nur mehr zwei Teams unterwegs. Zum einen sind es Thomas, Peter und Hans und zum anderen sind es nur mehr Christian und ich. Schon der lange Zustieg zum Berg hatte uns geprägt, Energien gekostet aber auch enger zusammengeschweißt. Beim Gehen hat man viel Zeit zum Nachdenken und somit ist es eine gute Möglichkeit der Selbstreflexion. Mit jedem Höhenmeter nehmen die Fragezeichen zu und dennoch setzt man, betrunken und monoton, einen Schritt vor den anderen. Jetzt wo wir uns auf 6700 m befinden verändern sich die Blickwinkel auf die Welt und einen Selbst.
Es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine physisch psychische Gradwanderung in einer äußerst gefährlichen und exponierten Örtlichkeit. Aber genau das ist ein Grund, ein weiteres Fragment warum ich (wir) solche Reisen machen denn es sind die unvorhersehbaren Momente solcher Reisen welche durch die ‚äußeren Umstände innere Erfahrungen’ bringen.
Zurück auf 6700 m im Hochlager… schon sehr früh, es muss so um fünf Uhr gewesen sein, hörten wir zuerst schwere langsame Schritte im Schnee knirschen und dann wurde der Reisverschluss des Zeltes aufgemacht. Thomas, Peter und Hans blickten herein und teilten uns mit, dass sie jetzt den Gipfelaufstieg in Angriff nehmen. Chris und ich hatten das -selbe geplant, jedoch wollten wir aufgrund der tiefen Temperaturen noch zuwarten. Zwei Stunden später, Chris und ich waren kurz vor dem Aufbruch, da kam Hans zu uns in Zelt. Er hatte leichte Erfrierungen an den Zehen und so massierten Chris und ich seine Zehen und Füße. Thomas und Peter sind zu diesem Zeitpunkt weiter zum Gipfel aufgestiegen und wir betreuten Hans noch für gut eine Stunde bis er sich wohl und warm genug fühlte, um seine Füße und Zehen alleine behandeln zu können.
Chris und ich brechen auf, es war ein herrlicher Tag jedoch spürten wir die Höhe mit allen ihren Schattenseiten und so mühten wir uns (wieder mal) Schritt um Schritt und Höhenmeter um Höhenmeter Richtung Gipfel. In der Zwischenzeit erreichten Thomas und Peter den Gipfel des 7246 m hohen Dhaulagiri VII, dem Putha Hiunchuli und waren am Rückweg als sie uns sichtlich erleichtert, aber ebenso erschöpft von den Bedingungen berichteten und sich nach Hans erkundigten. Wenige Worte reichen in dieser Höhe um sich auszutauschen und aus dem Augenwinkel sah ich sie weiter absteigen und ihre Silhouetten immer kleiner werden. Am späten Nachmittag und zu spät um den Gipfel noch zu schaffen, erreichten Chris und ich die 7000 m Marke. Wir fühlten uns schwach aber noch mehr fühlten wir uns frustriert. Wie im Zeitraffer lief bei mir in Sekundenschnelle ein Film ab, welcher von den langen Vorbereitungen über die Strapazen bis zum jetzigen Ort auf 7000 m führte. Die Frage über das WARUM war präsenter denn je, aber dann blickte ich Chris an und eine andere Welle, jene der Empathie, ließ uns im gleichen Moment vor Freude über das Erreichte taumeln.
Da wir wussten, dass der Gipfel einfach nicht mehr erreichbar war sanken wir auf genau 7000 m nieder, kochten Kaiserschamarrn (ja den gibt’s auch zum Aufgießen) und genossen die unglaubliche Aussicht welche dieses Panorama zu bieten hatte. Wir blickten über Westnepal und nach Osten zur Dhaulagiri- und Annapurna-Gruppe. Wir verbrachten so lange es die Zeit erlaubte auf dieser Höhe und machten uns dann auf den Weg zurück in unser Hochlager wo wir noch eine weiter Nacht verbrachten, um dann am nächsten Morgen über die Aufstiegsroute zum Basislager abzusteigen. Anfänglich begleitete uns aber dennoch die Enttäuschung welche sich erst im Basislager mit den Kumpels in Freude wandelte. Nach einem weiteren Ruhetag begann dann der Rückweg vom Basislager nach Juphal.
Ein viertägiger Marsch auf der uns schon bekannten Route hinunter zum Barbung Chu und über Khanigaon nach Tarak. Erst jetzt, Wochen nach der Anspannung und Aufrechterhaltung von Motivation und Teamgeist, fühlten wir uns alle erleichtert und genossen das was uns umgab.
Den Abschluss unserer wunderbaren Reise bildete jedoch der Besuch in Lasah, dem einstigen Sitz des Dalai Lama. Die Kontrolle und Präsenz durch die chinesischen Regierungstruppen macht dort aber noch lange nicht halt sondern zieht sich mittlerweile bis in die äussersten Randzonen der tibetischen Grenzen. Eine wirklich traurige Entwicklung…
Namaste aus Nepal, Herbst 2002