Osaka / Japan, Teil I
99 Stunden Osaka: … nicht alles was rosa blüht und nach Kirschblüten duftet ist Gold wert und so kämpft Japan mit über 127 Millionen Einwohnern an mehreren Fronten. Eine davon ist Hikikomori, aber mehr dazu am Blog Ende. Für Reisende ist der japanische Verhaltenskodex, der genau festgelegt ist, schwer zu verstehen bzw. einsehbar. Kollektive Ordnung und Disziplin stehen in diesem fantastischen Land im Vordergrund, doch die Schattenseiten verwischen das sonst so ungetrübte rosa der Kirschblüten-Nation.
Erlebtes, Erfahrenes und Erfragtes aus Japan. Über Osaka, Kyoto und Nara verfasse ich drei kürzere, zusammenhängende Blogs, die hintereinander erscheinen werden und sich mit meiner 14-tägigen Reise durch diese historisch reiche und moderne Nation, aber auch mit deren Schattenseiten und derzeitigen Herausforderungen bzw. Wandlungen befassen werden.
Natürlich gibt es jede Menge Dinge die Japan einzigartig machen. Ganz vorne anzutreffen sind, Tradition & digitale Medien , öffentliche Verkehrsmittel, Generationenkonflikte und Berge. Ja, Berge! Denn nur knapp 20 % des Landes sind flach und aufgrund der genialen Verbindungen durch die öffentlichen Verkehrsmittel lassen sich auch die entlegensten Winkel gut erreichen. Die Berge habe ich bei dieser Reise jedoch nur bei den vielen Zugfahrten gesehen und ich stelle mir vor wie schön es sein muss, Japan mal mit dem eigenen Fahrzeug und abseits der großen Städte zu bereisen.
Was die Technik bzw. die digitalen Medien betrifft – oh ja…, das lieben die Japaner und ich gestehe, ich auch. Beheizte Toilettensitze inklusive Selbstspülung (und mehr) sind selbstverständlich und beim Taxifahren braucht man, wie jetzt im Winter, die Hände nicht aus den Hosentaschen nehmen denn die Türen öffnen und schließen automatisch. Wie cool ist das denn bitte.
Ich bin von Seoul in Süd Korea nach Osaka geflogen. Eineinhalb Stunden Flugzeit und schon landet man 45 km vom Zentrum Osakas entfernt, am internationalen Flughafen von Kansai. Geld abgehoben, Tourist Info gecheckt, Bus gesucht und ab ins Zentrum der 2,7 Mio. Einwohner Stadt. Osakas Vororte haben flächenmäßig eine enorme Ausdehnung und schon am Flughafen beginnend, vereinnahmen einen die Industriekomplexe. Handel, Schifffahrt, Tourismus sowie In- und Export, alles ist hier mengenmäßig zuerst mal schwer fassbar. Trotzdem kommt man, dank minuziöser Planung, Ordnung und streng eingehaltenen Strukturen, zügig durch dieses komplexe Netzwerk und landet relativ zielsicher an dem Ort seiner Zielsetzung. Ich hatte mir für vier Tage einen ‚Box‘ Schlafplatz in einem Hostel reserviert. Box = geteiltes Minizimmer mit ca. 25 qm und 6 Schlafkojen. Das Mitsuwaya Hostel Osaka liegt wirklich gut und in nur 15 Minuten Gehzeit gelangt man in den Stadtteil Dotonbori. Osaka Hostel mit den Schlafboxen
Dontonburi ist nicht nur bei den ‚Osakaties’ – den Einheimischen beliebt, da es neben traditionellen Puppen Shows eine Unmenge an Shopping Möglichkeiten und vor allem eine enorme Auswahl gastronomischer Vielfalt bietet. Dotonbori
Zu den bekanntesten Dingen in Dotonbori gehört natürlich auch das Firmenschild von Ezaki Glico Co. Ltd., dem Hersteller von Glico Karamel Zuckerl, welches 1935 zum ersten Mal installiert wurde und heute bei den Künstlern als eine Art japanisches Wahrzeichen gesehen und gehuldigt wird. Glico running man
Erstmal in Osaka angekommen, findet man sich schnell zurecht. Das U-Bahn-System ist bestes auf Touristen eingestellt und nach anfänglichen kleinen Verwechslungen bzw. Verwirrungen sind die vorgenommen Ziele leicht zu erreichen. Wer jedoch wie ich auch wieder mal gerne auf das Fahrrad steigt, dem kann ich nur empfehlen eine Tour mit Osakas Fahrradshop zu buchen (geht auch kurzfristig) oder man mietet sich sonst wo ein Fahrrad und erkundet so die Stadt. Obwohl ich mich anfänglich meist ein wenig verirre, schätze ich diese Art der Fortbewegung, lerne Leute kennen und bekomme ein gutes, übersichtliches, geografisches Gesamtbild der Stadt.
Osaka hat weniger Sehenswürdigkeiten als so manch andere japanische Großstadt zu bieten, aber das Osaka Castle ist sehr empfehlenswert und auch nachts zugänglich. Wie bei allen Sehenswürdigkeiten herrscht auch hier reges Treiben ab 9 Uhr früh.
Wer es also gerne ruhiger hat oder zum Fotografieren kommt, muss wohl früher aufstehen oder nachts vorbeikommen. Spät am Abend wirkt das Schloss mit seinen uralten Mauern, den mächtigen hölzernen Säulen und Toren wirklich noch beeindruckender als unter Tags. Weniger los als bei den bekannten Sehenswürdigkeiten ist in den vielen kleinen und unbekannten Shintō-Schreinen, die über die Stadt verteilt zu finden sind und von den Einheimischen gerne zur Auffindung beschrieben werden.
Im Gegensatz zu dem von mir zuvor besuchen Seoul wird hier, ganz im Gegenteil zu Südkorea, direkt vor den Geschäften und an den gekennzeichneten Stellen geraucht. Jedoch kommen hier die Raucher nicht, so wie viele Menschen in meiner Heimat Österreich, auf die charakterlose Idee, ihre gerauchten Zigaretten auf den Boden oder sogar aus dem Fenster des Autos zu werfen.
Osaka ist eine lebendig schnelle Stadt und wer nur kurz zum Sightseeing, Shoppen oder auf der Durchreise ist, dem sollten drei Tage reichen, um all dies stressfrei sehen und auch genießen zu können.
Die Schattenseiten der Kirschblüten-Nation / Osaka Teil I – Hikikomori
Mich interessieren Themen wie traditionelle Herkunft, Gewohnheiten und Prägungen im Wandel zur Gegenwart und den daraus resultierenden Herausforderungen, Klüften und neuen Möglichkeiten. Japan ist mit 127 Millionen Einwohnern ganz schön groß und es gibt einige alte und neue bzw. eigenartige Phänomene, welche für Reisende nicht gleich offensichtlich, aber bei generellem Interesse und Gesprächen, schnell für intensiv emotionalen Austausch sorgen. Der extreme kollektive Leistungsdruck, der schon auf die Kleinkinder, die Jugendlichen sowie auf die Erwachsenen ausgeübt wird, führt bei manchen Menschen zu Versagensängsten. Das kann so weit gehen, dass Menschen ihr Zimmer nicht mehr verlassen, weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen und das nennt man dann Hikikomori.
Dieses Phänomen ist keine kleine Randerscheinung, schließlich betrifft es in Japan 1 % der Gesamtbevölkerung. Das hört sich nach nicht viel an, macht aber dann doch knapp 1.3 Millionen Menschen aus. Die Tendenz ist bei beiden Geschlechtern steigend. Anbei ein paar sehr interessante Berichte.
der standart über hikikomori Englischer Bericht aus japantoday hikikomori-predominantly-japanese-problem
Hikikomori – Wikipedia japanese – hikikomori – videos heute.de/leben-in-japan-hikikomor
Da ich bei meiner Reise durch Japan die Eltern einer jungen Frau kennengelernt habe welche, Hikikomori auf ihre Art lebt, war ich dazu bewogen tiefer in dieses Thema einzutauchen. Ich führte diesbezüglich einige Gespräche, wie z.B. mit einem ihrer ehemaligen Lehrer und ihren Eltern, und recherchierte viel zu diesen Thema. Fotografieren durfte ich ihr Schlafzimmer und ihren Tatami-Raum nur unter einer Voraussetzung und nachdem ihr erzählt habe, dass ich über das Thema in einem Blog schreiben würde. Die Bedingung zu Fotografieren war, dass ich ihr Zimmer nur völlig ausgeräumt fotografieren durfte. Wie man an den Fotos erkennen kann, ist auch das Wohnzimmer ihrer Eltern absolut puristisch eingerichtet.
Das Schlafzimmer der jungen Frau beinhaltet an Einrichtungsgegenständen, neben dem Tatami-Boden, nur noch eine dünne Matratze mit Bettdecke, einen Heizstrahler, einen Sessel sowie einen kleinen Tisch. Alle realen sozialen Kontakte (also von Person zu Person) werden, so gut wie nur möglich, vermieden. Im Gegenzug findet der Austausch fast ausschließlich über die sozialen Medien statt. Ich konnte ein paar Worte mit dem Mädchen wechseln, wobei jeglicher Blickkontakt ihrerseits vermieden wurde. Es ist einfach schwer nachvollziehbar wie vor allem der Leistungsdruck in der japanischen Gesellschaft solche eigenartigen Phänomene hervorbringen konnte. Natürlich gib es, neben den angesprochenen Erwartungen, noch viele Parameter in der japanischen Gesellschaft zu finden, die solche Phänomene hervorrufen.
Verwundert bin ich nicht wirklich, denn schon in Seoul ist mir bei den Jugendlichen aufgefallen, dass sie, eingebettet durch die Sicherheiten des Staates, fast ausschließlich in ihrer virtuellen Realität leben. Ich kann es ihnen gar nicht übel nehmen, denn es fehlt ihnen an nichts. Den wenigsten ist bewusst das es eine Natur, ein da Draussen, eine Welt von der wir abhängig und für die wir verantwortlich sind, überhaupt gibt. Sie leben in ihrer digitalen Mikrokosmos Welt, vereinnahmt von sozialen Medien und statt von Menschen umgeben zu seine haben sie Apps.
Osaka, Jänner 2017