Es war die pure gebündelte Abenteuerlust, welche mich damals mit Harry nach Chile trieb.
Wir wussten nicht viel über das Land, sahen aber die Bilder der schneebedeckten Vulkane und Berge. Das reichte uns völlig, um uns auf Spurensuche nach Sponsoren zu machen. Ich stellte damals eine kleine Pressemappe zusammen, welche aufgrund der damaligen Erfahrungen nicht wirklich einen überzeugenden Inhalt liefern konnte, um Sponsoren für unsere Reise nach Chile zu finden. Nach zahllosen Versuchen bei namhaften Ausrüsterfirmen fand dann Salomon doch Interesse an unserer Idee, einige Vulkane Chiles zu besteigen, um sie dann mit den Snowboards zu befahren und hielt sie für unterstützungswürdig.
Salomon brachte zu dem Zeitpunkt einen neuen Bergschuh, den Salomon Super Mountain 9, auf den Markt, welchen wir in Chile beim Bergsteigen und auch als Alternative zu einem Snowboardschuh testen sollten. Die Neugierde war groß und wir wichen ein wenig vom Plan ab und testeten die Teile auch an den Sanddünen der chilenischen Küste.
Für Chile selbst hatten wir über einen Freund einen Kontakt bekommen, welcher uns als Anlaufstelle dienen sollte. Hans, ein bodenständiger Schichtarbeiter aus Bad Hall, hatte irgendwann in den 90er-Jahren die Schnauze voll und ist mit seinen wenigen Ersparnissen und einem One Way Ticket von Österreich nach Chile abgehauen (und lebt heute noch dort). Hans hatte sich südlich von Villarrica, mit gleichnamigem Vulkan Villaricca, niedergelassen und diesen Ort hatten wir als Startpunkt für unsere Abenteuerreise durch Chile fixiert.
Harry und ich besorgten uns zwei große und robuste Skisäcke, um neben den Snowboards auch gleich alles andere Material verstauen zu können und so kam es auch, dass wir gemeinsam satte 96 kg Gepäck auf die Waage brachten. Kein Wunder, denn schließlich waren neben den Snowboards auch alle Materialen zum Bergsteigen, von Seil über Pickel, mit im Gepäck. Am Flughafen hatten wir dann unsere schweren und großen Skisäcke als Sportgepäck aufgegeben und mussten wirklich nur mehr eine lächerlich kleine Summe zuzahlen, um die beiden Gepäckstücke bis nach Santiago de Chile zu bekommen.
Doch die wahren Herausforderungen begannen erst in Santiago de Chile selbst, denn der Weg mit den beiden großen Gepäckstücken bis in das 750 km entfernte Villarrica stand uns noch bevor. Für diese und weitere Busstrecken in Chile kann ich zwei Unternehmen empfehlen, auch wenn es bei beiden immer wieder zu kleineren Schwierigkeiten und Verzögerungen kommt, so sind sie dennoch verlässlich und unser Übergepäck war kein Thema.
In Villarrica wurden wir schon von Hans erwartet und auch dort fanden unsere Skisäcke genügend Platz. Kein Wunder, denn schließlich hatte er einen alten großen Pickup mit welchem wir die Wald- und Schotterstraßen zu seiner kleinen Farm fuhren. Irgendwie fühlte sich dieser Moment nach totaler Freiheit an. Weit ab der Heimat, irgendwo am Rande einer chilenischen Stadt und in dieser verrosteten Karre, saßen wir verschwitz aber zufrieden und die Abenteuer im Kopf waren noch mal um einiges größer als unser Gepäck. Ausatmen…. und einfach genießen. Der Schuß am frühen Morgen hallte durch das Tal und ließ Harry und mich, trotz Jetlag und Strapazen der Anreise, sofort hellwach sein. Hans hatte wegen uns ein Schwein erlegt, welches er schon wenige Stunden später über offenem Feuer auf typisch (südlichen) südamerikanischen Stil zu grillen begann. CHILENISCHES ASADO
Was für ein Empfang, was für ein Leben… Bienvenido a Chile
Auf der Farm von Hans und in deren herrlicher Umgebung haben wir uns gut zwei Wochen aufgehalten. Ein Hauptgrund dafür war, dass wir auf der Suche nach einem Auto waren. Nein, leider kein Pickup oder 4 Wheel Drive. Dafür war unser Budget und der kleine extra Betrag von Salomon dann doch zu gering, aber hey… ein alter Lada schafft das auch. Wir brachten die ganzen Aufkleber der Sponsoren an und schon am nächsten Morgen fuhren wir gegen vier Uhr früh zum Vulkan Villaricca los, parkten das Auto bei einer kleinen Ranger Station und begannen unseren Aufstieg noch im Dunkeln. Die Stirnlampen erhellten das vereiste Umfeld durch die Reflektionen am Schnee ausreichend. Die erste Stunde waren wir noch ohne Steigeisen unterwegs, jedoch wurde der Anstieg steiler und die Blankeisflächen größer und so befestigten wir die Steigeisen auf die Salomon Super Mountain 9.
Das Snowboard hatten wir beide am Rucksack befestigt und mit dem Pickel als Sicherheit stiegen wir rasch empor. Kurz vor dem Gipfelbereich des Villarrica begann es stark nach Schwefel zu riechen, ein eindeutigeres Zeichen für einen aktiven Vulkan gibt es kaum. Der Blick vom 2840 m hohen VILLARRICA VULKAN ist grandios, aber je nach Aktivität des Vulkans (letzter Ausbruch März 2015) mal länger oder kürzer zu genießen und so versuchten wir schon vom Gipfelbereich die Abfahrt mit dem Snowboard. Aufgrund der stark vereisten Flächen war dies aber erst ab ca. 2500 m möglich bzw. fahrbar. Eigentlich eine ‚kurze’ Genusstour (mit der richtigen Ausrüstung) und je nach Wetterlage.
Uns zog es jetzt mit dem kleinen Lada in den Norden in die Atacama Wüste, wo wir die Besteigung des Incahuasi geplant hatten. Die Fahrt von Villarrica nach Copiapo (1560 km) war ein Abenteuer für sich, aber irgendwie schafften wir das. Jedoch mussten wir jetzt noch mal gut 200 km zurücklegen, wobei uns der Lada bis in eine Höhe von 4281 m bringen sollte.
Eine Zumutung für unser Fahrzeug und so kam es dann auch, dass wir gut zwei Tage für diese Distanz brauchten. Das Letzte Stück konnten wir nur mehr im ersten Gang bewältigen und wir waren überglücklich als wir die LAGUNA VERDE, welche uns als Basislager zur Akklimatisation dienen sollte, erreichten.
Das Auto diente uns als Küche und Schlafraum, aber vor allem als Schattenspender untertags da die Temperaturen schon mal auf +40 °C klettern können. Für den Körper sind solche extremen Schwankungen, wie sie uns hier in der Atacama Wüste begegneten, sehr schwer zu verkraften, da es in 24 Stunden Temperaturschwankungen von bis zu 50 °C geben kann. Auch wir hatten Tage wo das Thermometer untertags auf +40 °C stieg und die Temperatur nach Sonnenuntergang sehr schnell auf –10 °C gefallen ist. Nach drei Tagen Akklimatisation und Erkundungen in der näheren Umgebung starteten wir unsere erste Etappe zur Besteigung des Incahuasi 6621 m.
Die Höhe ist natürlich immer ein Thema, aber in diesem Fall waren es der Temperaturunterschied und das nicht vorhandene Wasser, welche den Zustieg zu einer großen Herausforderung machten. Neben unseren Rucksäcken trug jeder von uns noch 14 l Wasser, jeweils aufgeteilt auf zwei Kanister. Der Grund dafür ist, dass der Zustieg weit und die Schneegrenze erst bei ca. 5200 m lag und so hieß es eben schleppen. Für Harry wurde die Tour immer schwieriger, da er neben dem permanenten Kopfweh jetzt auch beständiges Nasenbluten hatte – nicht ungewöhnlich für diese Höhe. Die Nacht im Zelt war eisig und die Stimmung dementsprechend. Sehnlich erwarteten wir die ersten Morgenstrahlen der Sonne und schlürften heiße Instantsuppe, bevor wir mit klammen Fingern wieder alles in die Rucksäcke stopften. Am zweiten Tag ging es gut voran, doch das Nasenbluten von Harry konnten wir nur unterbinden, nicht stoppen. So war die zweite Nacht für ihn ein Horror und wir entschieden uns daher, den morgigen Gipfelversuch aus Sicherheitsgründen sausen zu lassen.
Am nächsten Morgen kletterte ich noch mit Steigeisen und Pickel im BÜSSEREIS bis auf 6000 m, bevor ich umkehrte und wir uns gemeinsam auf den Rückweg machten. Harrys Allgemeinzustand wurde nach wenigen Stunden und einigen hundert Höhenmetern zunehmend besser. Was blieb, war die mit Blut verkrustete Nase. Erschöpft aber mit der Gewissheit, dass es Harry wieder gut geht sind wir am nächsten Tag wieder bei unserem Basecamp, dem Lada, angekommen.
Dass der Lada unsere ganze Chile Reise nicht überstehen würde hatten wir schon geahnt, aber dass er jetzt bei der Rückfahrt, auf dieser wenige befahrenen Strecke aus der Atacama Wüste, schon aus dem Rennen fallen würde, hat uns dann noch überrascht.
Vorderachsbruch… in 4200 m Wir schmeißen unseren ganzen ‚Krempel’ (die knapp 100 kg Gepäck) plus die beiden Nummerntafeln in den Schatten des Ladas. Wortlos sehen wir uns an, überprüfen schielend den Vorrat der Wasserkanister und beginnen zu fluchen. Der Ort an dem wir uns befinden wird befahren, oh ja… wenig, aber doch und wenn, dann ist jedes Fahrzeug so vollgestopft, dass sie wohl kaum für uns beide Platz haben. Geschweige denn für zwei echt fette Skisäcke mit Snowboards. Hm… so standen wir, den Daumen bereit zum Stoppen, am Straßenrand und im spärlichen Schatten des Ladas.
Am ersten Tag waren es fünf Fahrzeuge die natürlich sofort anhielten, schließlich sah man uns ja auch schon von aller Ferne, und sich nach dem Geschehenen erkundigten. Platz hatte niemand! Am Nachmittag des zweiten Tages wurden unsere Gebete (oder die Flüche) erhört und es stoppte eine Großfamilie, welche mit zwei Pickups unterwegs war. Nach viel Schlichten und neu verzurren des Gepäcks stand jeder von uns auf der offenen Ladefläche eines Pickups. Sonnenbrille auf, Kopftuch übergezogen und offene Körperstellen von der grellen Sonne geschützt…. und ab ging’s. Die beiden argentinischen Fahrer schonten ihre Fahrzeuge nicht und während wir in Staub- und Sandwolken durch die Atacama fetzten, fraß sich dieses Sand-/ Staubgemisch nicht nur durch jede Ritze des Gepäcks, sondern verpasste auch uns ein mumifiziertes Aussehen.
Am Hauptplatz von Copiapo angekommen wurden wir zur Attraktion. Denn alle lachten über die beiden Gringos, welche wie zwei mumifizierte Sandsäcke versuchten irgendwie Herr der Lage zu werden. Auch nach gründlicher (Vor-) Reinigung (aus unserer Sicht) verweigerten uns zwei Hotels die Aufnahme. Der dritte Anlauf war erfolgreich und die beiden nächsten Tage verbrachten wir mit der gründlichen Reinigung unseres Materials sowie in den Bars von Copiapo. Den Lada ließen wir einfach zurück und Freunde von uns sendeten ein Jahr später ein Foto, da sie mit den Motorrädern die gleiche Strecke abfuhren. Nur mehr das Skelett war übrig, alles andere hatte Abnehmer gefunden…
Auf der Fähre von Puerto Montt nach Puerto Natales
Wir reduzierten unser Gepäck und legten die Strecke von Copiapo nach Puerto Montt mit dem Bus zurück. Das unglaublich reichhaltige Muschel- und Fischangebot im Hafen von Puerto Montt hat uns beide fasziniert und so schlemmten wir direkt im Hafen, bei den kleinen überdachten Kochstellen, bevor unsere Fähre auslief. Vier Tage am Schiff, die billigste Kabine und Lust auf mehr Abenteuer, das reichte für die gute Stimmung. Ruhige Tage, stürmische Tage und einen wirklich stürmischen Tag so wie man ihn eben aus den Geschichten Patagoniens kennt. Wir fahren durch den ‚Golf des Leidens’ (Golfo de Penas).
Charles Darwin hatte hier auf der HMS Beagle einen Großteil seiner Evolutionstheorie geschrieben. Ein unwirklich schöner Ort. Punta Arenas hieß uns willkommen, oder besser gesagt wir fühlten uns sauwohl in dieser kleinen Hafenstadt am Ende der Welt. Es gab endlose Abenteuergeschichten in den Kneipen und heißen Kaffee während man bei knisternder Holzwärme den Wind um die Häuser pfeifen hörte. Nach einigen Tagen brachen wir auf und nahmen zuerst den Bus, um uns den PERITO MORENO GLETSCHER in der argentinischen Provinz Santa Cruz anzusehen.
Fasziniert, dem Gletscher bis auf wenige hunderte Meter nahe zu kommen, bestaunten wir ihn mit Ehrfurcht und genossen dieses unbeschreiblich schöne Farbenspiel aus Blautönen. Am Tag darauf nahmen wir den Bus nach El Chaltèn, ebenfalls in der Provinz Santa Cruz Argentinien. EL CHALTEN hatte damals 1998 gerade mal 75 permanente Einwohner. Nur den Sommer über stieg diese Zahl aufgrund der Touristen, den Bergsteigern, Kletterern und wegen des Hotelpersonals.
Hier waren wir den legendären Geschichten von Antoine de Saint-Exupéry (welcher in diesem Gebiet als Postflieger unterwegs war) sowie jenen der Kletterlegenden Cesare Maestri & Jim Bridwell etc. nicht nur näher, sondern konnten auch bei den kleinen Expeditionen die alten Überreste, wie z.B. das Camp von Jim Bridwell, sehen. Wir waren einfach nur begeistert und erkundeten innerhalb von zwei Wochen alles, so weit die Füße uns trugen. Das ist in diesem Gebiet normalerweise aufgrund des Wetters nicht so einfach, aber wir schreibenden den Sommer 1998 und das war das Jahr des El Nino und das brachte dem Süden Patagoniens einen ungewöhnlich warmen und stabilen Sommer. Wir erkundeten alles was ging zwischen Cerro Torre, Fitz Roy bis rauf zum Paso del Viento.
Harry und ich verbrachten insgesamt drei Monate in Chile. Jegliches Vorhaben änderte sich aufgrund der Umstände vor Ort und so genossen wir einfach diese lehr- und abenteuerreiche Reise, welche uns mit ihrem Facettenreichtum schon von Anfang an in ihren Bann gezogen hatte.
Chile, Frühjahr 1998