Bei dem Versuch Begriffe wie Unberührtheit und Ursprünglichkeit in Worte zu fassen wird mir unwohl. Schon die Wortwahl ‚zu fassen’ bedrängt und begrenzt die Dimension der Unermesslichkeit. Hier zu sein und die Weitläufigkeit roher Natur in ihrer geballten Kraft und in allen Facetten und Elementen zu spüren, entfacht ein Feuer der Begeisterung in mir.
Ungehindert breitet sich das Staunen aus und zieht wie der Morgennebel über die schroffe wie liebliche Landschaft, während die salzige Meeresluft mich mit ihren Kristallen belegt. Verwurzelt und bedürftig nach Erleben transformiert sich das Geteilte in Einheit. Es sind Orte wie diese, wo sich der Tot der Sehnsucht durch Erfüllung seiner Endgültigkeit nähert. Wo Schmerz und Freude in Resonanz der Beharrlichkeit tanzen, wo der Betrachter verschwindet, wo das Wesentliche wesentlich wird und das Leben sich auf einen Moment reduziert.
Reduzierte Schönheit im Überfluss, gespickt mit einem Ausmaß an Naturgewalten, welche ihren Respekt einfordern, liegen die Lofoten verstreut, als hätte Gott das Meer damit gewürzt, als Inselgruppe im Nordwesten von Norwegen. Wir Reisen um Neues zu entdecken, sehen in den Spiegel der Welt und sind uns dabei manchmal selbst fremd. Dieser Blogpost über meine Reise auf den Lofoten und Vesterålen gleicht weniger einem Bericht als einer persönlichen Erzählung, einer bildgewaltigen Saga über die Schönheit des Landes und des Lebens. Unterwegs auf dieser beeindruckenden Reise war ich mit Christiane, best travel mate ever!
Eine Reise hinterlässt Spuren deren Eindrücke kommen und gehen, den Gezeiten gleich. Erlebtes, Gefühltes, Gehörtes und Gesehenes in Worte zu packen ist eine der Möglichkeit Erfahrenes zu teilen. Nicht aber in diesem Fall, denn hier sollen die Bilder selbst, den größten Teil der Geschichten, erzählen.
Alleine der Klang der Namen wie Norwegen oder Lofoten entfesselten bei mir schon die Erkundungs- und Entdeckungsfantasien des geschichtlichen Nordlandes. Bilder aus diesen Regionen bewegten mich schon seit langem und jetzt, im Herbst 2017, war es endlich soweit. Willkommen auf den Lofoten und in Vesterålen, Norwegen. Der Name bedeutet „der Luchsfuß“ von „ló“, altnordisch für Luchs, und „foten“, der Fuß. Lofot war der ursprüngliche Name der Insel Vestvågøy. Die Lofoten zu bereisen war von Beginn an eine überwältigende emotionale Reise, überraschend und verstörend einfach.
Wenn ich auch oft meine Beine um die Wörter schlinge scheint es dieses Mal nicht auszureichen. Breiten- & Längengrade können zwar Hinweise liefern, aber nicht den Geschmack jener spektakulären Landschaften vermitteln. Alles von außen, alles Wahrgenommene und jede Emotion drang tief bis zum Innersten meiner Zellen durch. Ich hatte keine Werkzeuge, um jenes anhaltende Staunen zu bearbeiten, welches für diese allumfassende Resonanz sorgte. Ich fühlte mich offen, verwundbar, ausgesetzt, blank und trotzdem voll verbunden. Bereit für die Reise ließen wir uns treiben, gesegnet durch das Wetter und der Unberechenbarkeit des nächsten Augenblicks.
Jeder der auf die Lofoten reist kann schon mal in seiner eigenen (Wort-) Schatztruhe nach Eigenschaftswörtern kramen und dabei versuchen, sich alle Facetten von ROT in Erinnerung zu rufen. Benommen von der allgemeinen Fülle, des Lichtspektrums und den satten Farben fühle ich mich mit meinen Kameras völlig überflüssig. Wohin ich auch blickte, in welche Himmelsrichtung ich mich auch verneigte, war ich umgeben von einer natürlichen und unübertreffbaren Installation der Natur. Kein Arrangement könnte je diese Komposition an Vielfältigkeit nachahmen, deren direkte Präsenz allgegenwärtig war. Die Herausforderung für Fotografen auf den Lofoten liegt nicht darin Motive zu finden, sondern einen Großteil davon zu meiden.
Die folgenden Luftaufnahmen mit der Drohne stammen aus der Region zwischen Fiskebøl & Laukvik.
Da nichts zufällig ist, oder anders ausgedrückt einem alles zufällt, war auch die Begegnung mit Rolf rein zufällig. Ein herzlichster Norweger, Viehbauer und einfach eine Seele von einem Menschen. Seine Unterkunft, ein feines Holzhaus in der Nähe von Fiskebøl, bietet jeglichen niedlichen Komfort, verfügt über eine schöne Terrasse und natürlich über einen Kamin (mit Wohlfühlgarantie).
Für alle jene die bis jetzt noch nicht nachgelesen haben wie man nach Nordland kommt, schreibe ich es gerne nieder. Die einfachste Anreise ist mit dem Flugzeug nach Oslo und von dort mit einem Inlandsflug nach Evenes oder Svolvær. In den beiden (kleinen) Städten bzw. an den Flughäfen sind Autos verschiedener Kategorien anmietbar, welche aber in den Sommermonaten schnell ausgebucht sein können! Wir fuhren die Hauptstraße, die E10 nur wenn wir keine alternative Route finden konnten. In unserem Skoda Allrad ließ sich bei Bedarf auch ganz ‚komfortabel‘ schlafen, denn schließlich sind die Nordländer keine günstigen Reisedestinationen. Die Strasse 888, welche bei Fiskebøl beginnt, überraschte uns aber noch mit ein paar anderen unerwartete Erfreulichkeiten. Rolf hatte uns von Rolfs Bar, einer kleine Holzhütte von ihm, welcher er der Allgemeinheit zur Verfügung stellt, sowie von einem ‚Unterstand‘ für Fahrräder erzählt. Hm… ?
Wir fanden beides vor und waren von der Großzügigkeit einerseits und der reduzierten zweckdienlichen Architektur anderseits völlig überrascht. Die Straße 888 ist unter anderem Teil einer Fahrradstraße und die schlichte Unterkunft bietet nicht nur Platz, um Fahrräder abzustellen, sondern kann auch als kostenloser Schlafraum genützt werden! Wow…
Fünfzig Meter davon entfernt, Rolfs Bar. Was für ein Segen, was für ein herrlicher Ort der Begegnung. “Schlichte Schönheit“ und damit meine ich nicht nur die Architektur des neuen Objektes, sondern auch die mich umgebende Landschaft.
Mit jedem Schritt sinke ich tiefer in den trockenen Farbenteppich aus moosigem Untergrund, bedeckt mit Flechten, Farnen und Gräsern. An Formen und Vielfalt hat die Natur auch hier mächtig aufgetischt und keine Wunder, dass in dieser Region, von Meer umgeben und dennoch mit Süßwasser versorgt, Adler und auch Elche ihren Lebensraum finden.
Die meisten Orte auf den Lofoten sind erst seit Mitte der achtziger Jahre über Strassen erreichbar und vielerorts erinnert der Besuch an verlassene, einst blühende Aussenhandelsposten. Der Fischfang war über Jahrhunderte vorherrschend, überlebensnotwendig und sorgte für einen Handel aller Art. Industrielle Relikte, zurückgelassene Maschinen und Gerätschaften jener Zeit findet man heute noch an den Stränden, Fjorden und Häfen.
In drei Tagen sind wir gerade mal 80 km gefahren und es ist definitiv nicht weit von Evenes Flughafen nach Å i Lofoten. Ein wunderbares Zeichen für eine abwechslungsreiche Region und bis jetzt blieben wir von der stürmischen und Wechselhaftigkeit des nordischen Herbstes verschont. Der Sonnenschein labte unsere Seelen, während die verschiedenen Lichtspiegelungen für beständiges Staunen sorgten, welches oft nur durch das vertraute surren des Gaskochers unterbrochen wurde. Ein echter Klassiker…, eine heiße Tasse duftenden Kaffees mit Blick auf die steil schroffen Berge und das glatte Meer. Oh Nordland!
Wir verstauen alles im Wagen, lassen uns weiter Richtung Westen nach Laukvik treiben und wie es so schön heißt, ist auch hier der Weg das Ziel. Gesäumt mit Schönheiten zieht sich die Strasse 888 durch tiefe Fjorde, vorbei an Sandstränden und immer begleitet von den beeindruckenden, sich schnell verändernden Landschaften, hervorgerufen durch die starken Gezeiten. Eine gute Gelegenheit abzuheben..
An der Nordküste der Lofoten gelegen, schmiegt sich der kleine Fischerhafen Laukvik in eine geschützte Bucht. Fischfang war und ist auch jetzt immer noch, neben dem Tourismus, die Triebfeder jenes kleinen Dorfes.
Der ertragreichste Dorschfang der Welt findet jeden Winter auf den Lofoten statt. Seit fast 1000 Jahren wird von hier aus Stockfisch nach Europa ausgeführt. Thema Stockfisch: Der Fisch wird aufbewahrt, indem man ihn an großen Gerüsten trocknet. Er muss weder gepökelt noch geräuchert werden, weil die Wintertemperaturen auf den Lofoten weit unter dem Gefrierpunkt liegen. Schon im frühen 12. Jahrhundert begann der Handel mit dem Stockfisch zwischen den Lofoten und Europa. Der Lofotenfischfang heute: Während vor 100 Jahren rund 30 000 Fischer am Lofotenfischfang beteiligt waren, liegt ihre Zahl heute nur noch bei etwa 2000. Oftmals wohnen die Fischer auf ihren Booten, so dass die Fischerhütten jetzt den Touristen zur Verfügung stehen, den sogenannten Rorbu. Rorbu ist die norwegische Bezeichnung für eine nur saisonal genutzte Fischerhütte. Das Wort Rorbu setzt sich aus den Wörtern „Ro“ (Rudern) und „bu“ (Wohnen) zusammen.
Ich blicke in den Rückspiegel während die Farben der Häuser von der Sonne verschlungen werden und nur mehr die Konturen des Dorfes als leichte Silhouette schimmern. Wir verlasen die Strasse 888 und rollen langsam der E10, der Hauptstraße nach Svolvær entgegen.
Lofoten Teil I, September 2017
Kaffee trinken & Fotografieren, Christiane & ich bei unseren Lieblingsbeschäftigungen.